Erneut bin ich als Prozessbeobachterin beim Pestizidprozess gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München nach Bozen gekommen, passiert ist wiederum nichts, da der letzte verbliebene Kläger nicht erschienen war:
Noch immer steht Karl Bär vor Gericht, obwohl von den über 1.300 Klägern nur einer übrig geblieben ist, der heute nicht einmal vor Gericht erschienen ist. Trotzdem wurde das Verfahren nicht eingestellt. Beim nächsten Mal wird der Kläger zwangsweise zur Verhandlung geholt werden.
Was für Kosten, was für eine absurde Aktion! Das ganze Gericht, Angeklagter, Anwält*innen Nicola Canestrini und Francesca Cancellaro sowie Staatsanwaltschaft, Beobachter*innen und Presse kommen zu vier Verhandlungstagen und nichts passiert. Und alles wegen einer kritischen Aktion gegen Pestizide. Die Debatte gehört in die Gesellschaft und nicht in den Gerichtssaal, meine ich. Verurteilenswert sind dagegen Versuche, Kritiker einzuschüchtern und mundtot zu machen.
Aus der Pressemeldung des Umweltinstituts:
Der Prozess wegen übler Nachrede gegen Karl Bär, ehemaliger Agrarreferent des Umweltinstitut München e.V. und seit September grüner Abgeordneter des Deutschen Bundestags, wurde erneut verschoben. Am heutigen vierten Verhandlungstag in Bozen/Südtirol erschien der letzte verbliebene Kläger, Obstbauer Tobias Gritsch, der gleichzeitig von der Staatsanwaltschaft als Zeuge geladen war, nicht vor Gericht. Der Richter verfügte daraufhin eine Zwangsvorführung des Zeugen für den nächsten Verhandlungstag am 28.1.2022 durch die Südtiroler Polizei. Dies kommentieren der Angeklagte Karl Bär und sein italienischer Strafverteidiger Nicola Canestrini wie folgt:
Karl Bär, Bundestagsabgeordneter der Grünen: “Das, was hier in Südtirol passiert, ist an Absurdität kaum zu übertreffen. Der Einzige, der diesen Prozess freiwillig weiterführt, muss von der Polizei vorgeführt werden, damit er überhaupt erscheint. Nach über einem Jahr und vier Gerichtsverhandlungen ist nichts auf den Tisch gekommen, was mit dem angeblichen Vergehen zu tun hat. Klar, denn wo es kein Verbrechen gibt, kann man auch keines aufklären. Der Prozess gegen mich ist reine Schikane. Die EU muss endlich eine Richtlinie erlassen und solchen Justizmissbrauch unterbinden, denn diese Verfahren gefährden die Meinungsfreiheit.”
Nicola Canestrini: “Hier haben wir den Beweis, dass Italien das perfekte Pflaster für gegenstandslose Klagen ist, die nur geführt werden, um unangenehme Kritiker mundtot zu machen. Die letzte verbliebene Anzeige von Tobias Gritsch ist unhaltbar. Ein einzelner Landwirt kann kein Opfer von übler Nachrede sein, nur weil jemand grundsätzlich den hohen Pestizideinsatz in der Landwirtschaft in Frage stellt. Gritschs Nichterscheinen zeigt, wie respektlos er mit der Strafanzeige umgeht. Wir fordern das Gericht auf, diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit endlich zu beenden und Karl Bär frei zu sprechen.”
Gegen Karl Bär lagen ursprünglich 1376 Anzeigen wegen übler Nachrede vor. Bis zum vierten Prozesstag hielten jedoch nur die Südtiroler Brüder Stefan und Tobias Gritsch an ihrer Anzeige fest. Beide Landwirte hätten am 29. Oktober vor Gericht als Zeugen aussagen müssen. Stefan Gritsch zog seine Anzeige zurück, Tobias Gritsch hält sie aufrecht. Damit läuft der Strafprozess gegen Bär weiter. Für ihn ist dies existenzbedrohend: Im Fall einer Verurteilung könnten tausende Südtiroler Landwirt:innen in einem anschließenden Zivilverfahren Schadensersatzforderungen geltend machen, die Millionenhöhe erreichen könnten. Auch eine Anklage wegen Markenfälschung gegen Bär ist weiter anhängig.
Hintergrund zum Prozess gegen Karl Bär
Anlass der Klage gegen Karl Bär war die provokative Kampagne „Pestizidtirol“ des Umweltinstituts München im Sommer 2017. In deren Rahmen platzierte die Umweltschutzorganisation ein Plakat in der bayerischen Hauptstadt, das eine Tourismus-Marketing-Kampagne für Südtirol sowie die Südtiroler Dachmarke satirisch verfremdete (“Pestizidtirol” statt Südtirol). Zusammen mit einer Website hatte die Kampagne zum Ziel, auf den hohen Pestizideinsatz in der Urlaubsregion aufmerksam zu machen. In den Apfelplantagen Südtirols werden nachweislich große Mengen an natur- und gesundheitsschädlichen Pestiziden ausgebracht. Bis zu zwanzig mal pro Saison werden dort die Apfelbäume gespritzt. Für den Text auf der Website und die Verfremdung des Südtirol-Logos wurde Karl Bär vom Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler sowie von mehr als 1370 Südtiroler Landwirt:innen wegen angeblich übler Nachrede angezeigt. Bär steht seit September 2020 vor dem Strafgericht in Bozen.
Der Prozess löste im Herbst letzten Jahres eine Protestwelle in ganz Europa aus. Hunderttausende Menschen forderten Landesrat Schuler auf, seinen Angriff auf die Meinungsfreiheit sofort zu beenden. Selbst die Menschrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, stufte die Klage als sogenannten SLAPP (strategic lawsuit against public participation) ein – eine haltlose, strategische Klage, die zum Ziel hat, unliebsame Kritiker:innen mundtot zu machen. Aufgrund des großen internationalen Drucks zogen Landesrat Schuler sowie alle Landwirt:innen außer einem ihre Anzeigen gegen Bär zurück.

Karl Bär (mit bunter Maske) im Gespräch mit den Anwält*innen

Claudia Köhler, MdL, im Gerichtssaal
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