In Bayern werden jährlich 1,31 Millionen Tonnen an Lebensmitteln weggeworfen. In der Plenarsitzung des Bayerischen Landtags am 05.06.2019 führt dazu meine Landtagskollegin und agrarpolitische Sprecherin der Grünen Fraktion Gisela Sengl aus:
Allein im Lebensmittelhandel landen 99.000 Tonnen Lebensmittel im Müllcontainer. Und zwar nicht etwa Lebensmittel, die verdorben und verschimmelt sind, sondern Lebensmittel, die einwandfrei und voll genießbar sind. Aber eine Delle in der Tomate, ein brauner Fleck auf dem Apfel oder weil das Mindesthaltbarkeitsdatum bei Chips abgelaufen ist – das alles macht diese Lebensmittel für den Lebensmittelhandel unverkäuflich und deshalb ab damit in die Mülltonne.
Gisela Sengl MdL, agrarpolitische Sprecherin
Oftmals landen Waren sogar kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) in den Müll-Containern, weil viele Kunden kurz vor dem Ablauf die Waren im Regal stehen lassen. Manche Menschen versuchen aus den Containern Lebensmittel zu retten und schrecken auch nicht davor zurück, einen verschlossenen Container notfalls mit Gewalt zu öffnen. Sie berufen sich darauf, dass diese Lebensmittel zu wertvoll sind, um in der Müllverbrennungsanlage vernichtet zu werden. Gleichzeitig gehen sie davon aus, dass sie sich deshalb nicht strafbar machen. Dem ist aber nicht so, wie zuletzt auch Caro und Franzi aus Olching¹ erleben mussten. Die Frauen wurden am 30.4.2019 wegen sogenanntem “Containern” vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck schuldig gesprochen. Sie hatten laut Staatsanwaltschaft München II aus dem Müllcontainer eines Lebensmittelmarktes in Olching weggeworfene Waren im Wert von rund 100 Euro gestohlen. Im Vorfeld zur Verhandlung hatte bereits mein Landtagskollege und rechtspolitischer Sprecher der Grünen Fraktion Toni Schuberl gefordert:
Zum einen muss Containern strafffrei werden und zum anderen brauchen wir dringend Gesetze gegen Lebensmittelverschwendung. Nach dem Vorbild von Tschechien und Frankreich sollten Supermärkte dazu verpflichtet werden, nicht verkaufte, aber noch gute Lebensmittel kostenlos und allgemein zugänglich zur Verfügung zu stellen
Toni Schuberl MdL, rechtspolitischer Sprecher
Mit jedem Lebensmittel, das unnötig im Müll landet, werden wertvolle Ressourcen und Energie verschwendet. Die Verschwendung von Lebensmitteln zu bekämpfen gehört zum Aufgabenbereich des Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die zuständige Ministerin Kaniber ist gegen eine Lockerung der Gesetzgebung zum Containern und gehört damit zu denjenigen, die einen entsprechenden bundesweiten Vorschlag vom Grünen Justizsenator von Hamburg Till Steffen ablehnt. Sein Antrag vom 6. Juni 2019 auf der Konferenz der Justizminister fand leider keine Mehrheit. Damit bleibt das Risiko einer Strafverfolgung nicht nur für Aktivistinnen wie Caro und Franzi erhalten, sondern auch für Menschen in sozialer Notlage, z.B. Obdachlose, die oftmals auf diese Lebensmittel angewiesen sind.
Kaniber verweist auf verschiedene Verbände, die mit dem Einzelhandel zusammen arbeiten würden, um noch verwertbare Lebensmittel an Bedürftige umzuleiten. Allgemein bekannt sind hier die sogenannten Tafeln. Mit einem Wettbewerb unter dem Motto „Gemeinsam Lebensmittel retten“ will sie die wertvolle Arbeit der Tafeln und anderer karitativer Einrichtungen in Bayern sogar auszeichnen. Den fünf Siegern winken Preise von jeweils 5.000 Euro. Insgesamt gibt es rund 170 Tafeln mit ca. 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Bayern Jahr für Jahr etwa 33.000 Tonnen Lebensmittel retten und an Bedürftige verteilen. In sozialen Netzwerken wurde schnell Kritik am Wettbewerb laut. “Bei den Lebensmitteltafeln und ‑tischen geht es in erster Linie darum, Not zu lindern sowie die Hilfe suchenden Menschen zu unterstützen und zu beraten“, betont Caritas-Vorständin Gabriele Stark-Angermeier. „Der Wettbewerb des Landwirtschaftsministeriums ist unglücklich aufgesetzt und setzt den falschen Fokus. Diese Art Aufmerksamkeit zu erregen, wird dem humanitären Ansatz der Tafeln und Tische nicht gerecht”.
In meiner Landtagsrede vom 16. Mai fordere ich deshalb, dass wir vor allen Dingen mit Armutsbekämpfung dafür sorgen müssen, dass niemand auf Containern oder Tafeln angewiesen ist. Das ehrenamtliche Engagement der Tafeln zum Wettbewerb der besten Ideen zur Lebensmittelvermeidung zu machen, ist beschämend. Die Tafeln übernehmen in professioneller Art und Weise staatliche Aufgaben bei der Versorgung von Bedürftigen und sollten deshalb die notwendigen finanziellen Mittel bekommen, die sie für ihre Arbeit benötigen. Die Tafeln sind kein Erfolg zu Vermeidung von Lebensmittelabfällen, sondern ein Indikator dafür, dass Armut im so hoch gelobten, reichen Bayern noch immer zur Realtität vieler Menschen gehört.
¹ Aktuelle Information zum Fall von Caro und Franzi aus Olching gibt es auf ihrer Homepage.
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